Der E-Mobility-Markt ist um eine Partnerschaft reicher: Niemand geringeres als Ford investiert in das Startup Rivian und kündigt an, auf deren Basis einen rein elektrisch angetriebenen Pickup Truck zu fertigen.
Wenn selbst die Macher des F-150 – seines Zeichens der wohl erfolgreichste Pickup der Welt – sich die Hilfe eines Startups sichern, ist das definitiv einen Blick wert. Was also kann Rivian, das Investoren wie Ford und Amazon überzeugt?
Das Datenblatt eines Supersportlers
Torque Vectoring. Luftfahrwerk. Und der Sprint von 0 auf 100 km/h in gerade einmal drei Sekunden: Die technischen Daten des Rivian R1T klingen nach allem, aber nicht nach einem schwerfälligen Pickup.
Das ändert sich, wenn wir auf dem Datenblatt weiter vorrücken: Der Truck des amerikanischen Startups beschleunigt nicht nur wie ein Sportwagen, sondern kann auch bis zu 800 Kilo auf der Ladefläche transportieren. Und dank 14.000 Newtonmeter – nein, das ist keine Null zu viel – zieht der Rivian R1T problemlos stattliche 5 Tonnen hinter sich her.
Vor dem Ford F-150 muss er sich also wirklich nicht verstecken – auch, wenn ihm natürlich der standesgemäße Sound eines Achtzylinders fehlt. Wobei sich Ford in der aktuellen Version des Verkaufsschlagers langsam vom V8 verabschiedet.
500 Millionen Dollar für ein Skateboard
Ford investiert eine halbe Milliarde Dollar in Rivian. Und das nicht nur, um Anteile zu erwerben – sie wollen auch das Skateboard des Startups mitnutzen. Diesen einprägsamen Namen haben die Amerikaner der Plattform gegeben, auf der ihre ersten beiden Modelle stehen.
Herzstück ist ein riesiger Akkupack, der sich aus tausenden einzelner handelsüblicher Akkus zusammensetzt, wie sie auch in Taschenlampen zum Einsatz kommen – eine davon steckt als kleines Easter Egg in der Tür des R1T. Für den Antrieb setzt Rivian aber natürlich auf ein paar mehr davon:
Bis zu 180 kWh fließen über die Ladesäule in die Akkus. Das ist genug, um eine Reichweite von rund 650 Kilometern zu ermöglichen – mehr, als Teslas deutlich windschnittigeres Model S aktuell schafft.
Vier Motoren für ein Hallelujah
Ihr Skateboard treiben die Rivian-Ingenieure vernünftigerweise mit gleich vier Motoren an – an jedem Reifen leistet ein platzsparender Elektromotor fast 200 PS, so dass insgesamt 750 PS den amerikanischen Mittelklasse-Pickup nach vorne treiben.
Das gibt Rivian die Möglichkeit, jedes Rad unabhängig von allen anderen zu bewegen. Unbegrenztes Torque Vectoring also – theoretisch können sich zwei Reifen mit voller Kraft in unterschiedliche Richtungen drehen.
In der Praxis wird Rivian diese Flexibilität aber eher nutzen, um die Geländegängigkeit voll auszureizen: Maximaler Grip beim Bergauf- und Bergabfahren garantiert. Dazu sorgt der niedrige Tiefpunkt durch den schweren Akku am Fahrzeugboden dafür, dass der Wagen später kippt als andere Offroader.
Elektro-Antrieb im Gelände – wirklich eine gute Idee?
Von klein auf lernen wir, dass Strom und Wasser um keinen Preis zusammengehören – wie also passt da ein Wagen mit riesigem Akku am Fahrzeugboden ins Gelände?
Rivian zerstreut die Bedenken: Der Unterboden ist mit einer Kombination aus Kevlar und Carbon geschützt, der Akku komplett wasserdicht versiegelt. Gleiches gilt für die Fahrgastzelle, was die Warttiefe von Pickup und SUV auf Range-Rover-Niveau anhebt:
Mit den beiden Modellen von Rivian werdet ihr durch bis zu einen Meter tiefes Wasser fahren können. Laut Rivian-Chefingenieur Mark Vinnels gibt es theoretisch gar kein Limit – in tieferem Wasser fängt der Rivian durch die Luft in der Kabine schlichtweg an zu schwimmen.
Autonomie, Power und eine Menge Platz
Natürlich kann Rivian nicht ohne Autonomie daherkommen, wenn sie ihre Modelle Ende 2020 an die ersten Kunden ausliefern – alle wichtigen Sensoren für das autonome Fahren sind deshalb an Bord.
Doch selbst wenn Technik und Antriebsart außer Acht gelassen werden, hat Rivian einen entscheidenden Vorteil: Ihre beiden Modelle bieten unfassbar viel Platz.
Der Truck kommt mit einem Gepäcktunnel unter der hinteren Sitzbank daher, im SUV finden gleich sieben vollwertige Sitze Platz. Dazu bieten beide unter der Motorhaube einen geräumigen Front-Kofferraum. Platzmangel gibt es in den Rivian-Modellen also sicher nicht.
Konkurrenz für Ford und Range Rover
Wenn Rivian umsetzt, was sie versprechen, macht das amerikanische Startup schon bald in gleich zwei Kategorien den ganz Großen Konkurrenz: Mit dem R1T greift Rivian den Pickup-Markt an, der R1S dagegen ist als riesiger SUV in der Klasse des Range Rover Sport unterwegs.
Und es sieht nicht gut aus für die Benzin-Fraktion: Die Modelle von Rivian sind schneller, bieten mehr Kraft und überzeugen zumindest theoretisch auch im Gelände auf ganzer Linie – dass sie dazu elektro-typisch leise sind, macht den Ausflug in die Natur nur noch schöner.
Es scheint also ein kluger Schachzug von Ford zu sein, sich mit dem potenziellen Rivalen zu verbünden – bleibt nur noch eine Frage:
Welches Modell stellt Ford auf die Skateboard-Plattform?
Auch wenn all die Vorteile der Rivian-Plattform perfekt zum F-150 zu passen scheinen, bleibt Ford bei dem Pickup schlechthin den eigenen Ingenieuren treu – lässt aber noch offen, welcher Wagen auf der Plattform des Startups stehen wird.
Besonders interessant macht die neue Zusammenarbeit die Tatsache, dass Ford auch mit VW kooperiert. Denn auch bei der Partnerschaft mit dem deutschen Autobauer geht es neben Transportern um Pickups. Beide Partnerschaften sollen sich allerdings nicht im Wege stehen.
Es bleibt also spannend, wie genau die Zusammenarbeit des amerikanischen Giganten mit einem der aktuell wohl hoffnungsvollsten E-Auto-Startups aussehen wird – und ob sich Teslas Model X vielleicht bald mit gleich mehreren Konkurrenten aus der amerikanischen Heimat messen muss.