Der Motor schief eingebaut, der Einstieg unbequem, der Leichtbau mehr schlecht als recht gelungen – das ist das Rezept für einen der begehrtesten und wohl schönsten Sportwagen aller Zeiten: Den Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer.
Mit ihm begann die lange Erfolgsgeschichte der Coupés und Roadster mit dem Stern auf dem Kühlergrill, deren aktuellste Errungenschaft, die in Zusammenarbeit mit AMG gebauten GT-Modelle sind – falls ihr euch einmal zwischen den beiden entscheiden müsst, will ich euch die Wahl heute noch leichter machen, als sie ohnehin schon ist:
Ein Design für die Ewigkeit
Klar, ein AMG GTS sieht klasse aus: Breit, tief, sportlich – genau so, wie sich das für ein Sportcoupe im 21. Jahrhundert gehört. Aber neben dem 300 SL verblasst er nicht nur, sondern geht klanglos unter:
Die legendären Flügeltüren, die eigentlich nur Nebenwirkungen des Gitterrohrrahmens sind, durch den die Schweller unnatürlich hochgezogen wurden. Die Rundungen der Motorhaube, unter der ein um 45 Grad gekippter Reihensechszylinder arbeitet. Und das so einfach wie elegant gezeichnete Heck, das allein Grund genug ist, einen 300 SL nie zu überholen.
Was der damalige Designchef Friedrich Geiger da in den 1950er Jahren erschaffen hat, ist ein automobiles Kunstwerk – doch unter dem stilvollen Blechkleid steckte Rennsporttechnik:
Vom Rennwagen zur Stilikone
Als Mercedes-Benz im Jahre 1952 den W194 bei Rennen einsetzte, kam er noch deutlich runder daher als die spätere Straßenversion W198 – doch auch wenn die sich beim Design weiterentwickelte, durfte sie von der Rennsporterfahrung ihres großen Bruders profitieren:
Gitterrohrrahmen, Trockensumpfschmierung, Direkteinspritzung – der 300 SL war ein echter Rennwagen im feinen Frack, auch wenn er die ersten Jahre auf Scheibenbremsen verzichten musste.
Doch trotz des „Super Leicht“ im Namen war der Leichtbau nicht so konsequent, wie sich Mercedes-Benz das wohl gewünscht hätte – denn für damalige Verhältnisse waren die gut 1.300 Kilo des Coupes fast ein wenig zu viel des Guten.
Die Lösung? Mehr Leistung!
Die gab es beim 300 SL auf Wunsch und gegen Aufpreis in Form einer Sportnockenwelle – statt 190 PS kamen dann ganze 215 Pferde an den Rädern an und beschleunigten den Flügeltürer auf fast 230 km/h. Vor über 60 Jahren, wohlgemerkt!
Den Sprint auf hundert absolvierte der 300 SL in für heutige Verhältnisse gemütlichen 9,3 Sekunden – im Geburtsjahr des Coupes wärt ihr damit an jeder Kreuzung Hollywoods der Star gewesen.
Falls ihr unbedingt mit dem 300 SL zur Arbeit fahren, euch aber nicht an der Ampel von einem Golf GTI zersägen lassen wollt, hat AMG höchstpersönlich zur Jahrhundertwende Stilbruch begangen – und 11 der 3.258 gebauten W198 mit moderner Technik versorgt:
Mercedes-Benz 300 SL trifft AMG-Wahnsinn
Bei den umgebauten Flügeltürern und Roadstern wird schon von außen klar, dass kein Originalzustand zu erwarten ist: Die moderneren Fünfspeichen-Räder sind einzeln am Bilstein-Fahrwerk aufgehangen. Die jetzt an den Türen angebrachten Rückspiegel können elektrisch verstellt werden. Und spätestens beim Anblick des Leder-Lenkrads mit Airbag wird klar, dass die Technik dieser 300 SL nicht aus den 1950er und 1960er Jahren stammt.
Für ein sattes Leistungsplus sorgt AMG mit einem Sechsliter-V8, der nicht nur für einen völlig unpassenden Klang sorgt, sondern auch gleich 380 PS an die Räder schickt.
Konsequenterweise ersetzte AMG dazu auch die Bremsanlage, um aus den jetzt 250 km/h (elektronisch abgeriegelter) Höchstgeschwindigkeit sicher abbremsen zu können. Mit moderner Klimaanlage, Alcantara-Dachhimmel und iPod-Anschluss war das stilistische Verbrechen schließlich komplett und wurde an ausgewählte Kunden ausgeliefert.
Besser als das Original? Auf gar keinen Fall!
Denn mal ehrlich: Der 300 SL ist kein Auto, in dem man an der Ampel einen Achtzylinder aufheulen lassen will, während die Musik in ohrenbetäubender Lautstärke aus dem Seitenfenster die Überlegenheit über all die GTI-Halbstarken da draußen verkündet.
Der Flügeltürer ist vielmehr eines der wenigen Autos, die mit filigranem Lenkrad das Benutzen von Lederhandschuhen legitimieren. Und dazu sogar rotes Interieur verkraften, ohne an Stil zu verlieren.
Der Mercedes-Benz 300 SL ist eine Stilikone, die niemandem etwas beweisen muss – denn seinen Legendenstatus hatte er sich schon vor über 60 Jahren verdient, als das erste Modell über die sonnigen Straßen Kaliforniens rollte.
AMG GT-wer?
Jetzt habe ich mich so in Lobhuldigungen an den 300 SL verloren, dass ich den AMG GTS zum Vergleich ganz vergessen habe – aber genau das zeigt auch, in welch unterschiedlichen Ligen die beiden Autos spielen:
Klar, beide haben einen großen Stern auf dem Kühlergrill. Und der AMG GTS ist ein schön anzusehender und vor allen Dingen sauschneller Sportwagen. Aber eben nicht mehr als das. Austauschbar.
Ganz anders der 300 SL: Nicht umsonst werden für gut erhaltene Modelle siebenstellige Summen gezahlt – denn er ist nicht einfach eine Stilikone mit Flügeltüren, sondern schlichtweg eines der schönsten Autos, die jemals gebaut wurden. Kein Wunder, dass auch Nico Rosberg seinen Flügeltürer gerne unter der Sonne Monacos ausfährt: