Der Tschernobyl-Hype nach der gleichnamigen Miniserie von HBO mag vorbei sein, aber die Konsequenzen der tragischen Geschichte sind aktueller denn je. Bis heute weiß keiner wirklich, was genau zu dem Unfall auf dem bekannten Atomkraftwerk geführt hat. Viele Dokumente sind immer noch geheim.
Trotzdem haben die Macher der Miniserie versucht, diese Geschichte so getreu wie möglich aufzugreifen und einer breiten Masse zu zeigen. „Tschernobyl“ war ein Auslöser für große Diskussionen über den Wahrheitsgehalt. Russland behauptete, die Serie ist von den politischen Feinden finanziert worden, um den Ruf der Sowjetunion zu verschlechtern. Viele waren aber erstaunt, wie genau die Ereignisse wiedergegeben wurden. Und ich erfuhr alles aus der ersten Hand, um dir eine wahre Geschichte zu erzählen.
Vorbereitungen auf die Liquidierung
Erst im Juni, fast ein Monat später nach dem Super-GAU in Tschernobyl wurde mein Opa als Oberleutnant in die Sperrzone eingezogen. Im Bataillon chemischer Sicherheit erhielt er entsprechende militärische Kleidung und Körperschutz. Opa wurde in einem Dorf außerhalb der Sperrzone mit seinem Bataillon stationiert – etwa 35km vom Reaktor entfernt. Gearbeitet wurde tagsüber und nachts, in seiner Freizeit hat Opa als Therapeut medizinische Assistenz geleistet.
Der Tages- und Arbeitsablauf war von der Regierung streng geregelt. Mehrere Gruppen beseitigten die Folgen der Explosion auf dem Dach des Kraftwerks, im Turbinen- und Reaktorraum. Jede Gruppe hatte einen eigenen Dosimetristen mit Geigerzählern. Die Messgeräte waren aber selten zuverlässig, sie konnten die übertriebene Strahlung nicht genau messen. Jeder einzelne Liquidator durfte dabei maximal 25 Röntgen sammeln, denn ab diesem Bestrahlungswert waren viel größere Vergünstigungen vorgesehen.
Der glühende Nuklearreaktor
Du erinnerst dich bestimmt an die Szene auf dem Dach des Reaktors: eine Gruppe von Arbeitern mit Schaufeln, jeder von denen nur acht Minuten Zeit hatte, um die Reste des radioaktiven Grafits loszuwerden. Genau so hat es mein Opa erlebt. Auf dem 72 Meter hohen Gebäude des 2. Reaktorblocks befanden sich ebenfalls Grafitstücke. Er hat eine typische schwere Bleischürze bekommen, die aber nur seinen Torso geschützt und ihn insgesamt sehr verlangsamt hat. Auch angesammelter Baumüll auf dem Dach war stark bestrahlt und musste begraben werden.
Am schlimmsten fand mein Opa tägliche Arbeiten im Turbinenraum. Dieser befand sich unter dem Dach, auf 52 Metern über dem Boden. Er und seine Einsatzgruppe mussten jeden Tag den radioaktiven Staub mit Hilfe einer speziellen Lösung mit Waschlappen beseitigen. Es war nicht möglich und auch nicht ungefährlich, die riesigen Turbinen mit Wasserschläuchen der Feuerwehrmaschinen zu waschen. Und so lief es jeden Tag: Gewischt, gemessen, die Strahlung ist im Normalbereich. Am nächsten Tag ging das Spiel von vorne an, denn an jedem neuen Tag waren die Turbinen noch stärker verstrahlt. Unter dem Reaktor, wie in der Serie gezeigt wurde, arbeiteten die Bergmänner. Und ja, sie waren tatsächlich nackt.
Eine Lehre für die Zukunft
Mein Opa sagte: „Der Mensch verliert sehr schnell seine Achtsamkeit“. Anfangs hatte er und seine Arbeitskameraden Angst, aber schon ein paar Tage später haben sich alle an die unsichtbare Gefahr gewöhnt. Keiner wusste, womit er zu tun hatte, die tote Stille der Stadt Pripjat war furchteinflößend. Die ersten Tage im Einsatz konnte mein Opa radioaktives Jod in der Luft auf der Zungenspitze schmecken, dagegen musste er Jodtabletten einnehmen, um die Schilddrüse zu schützen. Aber schon bald verloren viele Liquidatoren die Gefahr aus der Sicht. Einige rauchten auf dem Gelände und arbeiteten ohne Gasmasken, und atmeten somit schwere Metalle wie Plutonium ein.
Die Regierung hat aber auch dazu beigetragen, die tödlichen Folgen des Unfalls zu vertuschen. Nur durch Vertrauensbeziehungen mit den Mitarbeitern des Kraftwerks konnte mein Opa erfahren, was tatsächlich vor sich ging. Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit musste der Großteil der Bevölkerung der Sowjetunion auf die Straßen, darunter viele Kinder und Jugendliche, die dem radioaktiven Staub ausgesetzt waren. Dies sei ein großes Verbrechen des Staates gewesen, sagte mein Opa. Angesichts der globalen Gefahr, sollte der geschmolzene radioaktive Kern ins Grundwasser gelangen, können wir uns bei den vielen Liquidatoren bedanken, die die Welt gerettet haben.