Einsame Fettsäcke werden Helden: Die Kraft kommt aus dem Keller

Du erwartest nicht viel vom Leben. In Ruhe gelassen zu werden. Ab und zu mal eine Frau, die sich nicht angeekelt wegsetzt, wenn du im Bus neben ihr Platz nimmst.

Und ausreichend Essen und Zeit für dich und dein Lieblings-Imageboard. Auf diesem surfst du dann nichtsahnend mit 3 leeren Chipstüten auf deiner Wampe und wirst geschockt: Steht das Ende bevor? Sind die Tage von diesem Board gezählt?

Der letzte Fels in der Brandung, in denen du deinen „kernbehinderten“ Humor ausleben kannst und wo Meinungsfreiheit noch erlaubt ist, soll gesprengt werden? Würde das geschehen und diese Bilderplattform abgeschaltet werden, drohen den zahlreichen Usern plötzlich persönliche Kontakte und Außenwelt als Alternative. Das darf nicht sein! Was passiert, wenn sich diese Masse an sozial ausgegrenzten Kellerkindern vereint und für das Gute kämpft, erfährst du weiter unten im Artikel.

Wo sind diese sympathischen Menschen zu treffen?

Konkret geht es um die Seite pr0gramm.com. Korrekte Schreibweise: kleines p und große Null (das O in Programm ist eine Null). Das deutsche Imageboard zählt zu den 100 meistbesuchten Seiten im Lande. Dort werden Bilder und Videos von Usern hochgeladen und die Community bewertet diese mit Plus und Minus, genauso bei den Kommentaren.<7p>

Dass die Seite einen gewissen Humor hat, erkennt ihr sofort an dieser Punktewertung. Die virtuellen Punkte heißen hier nämlich „Benis“. Wer sich neu registriert, bekommt den Status „Neuschwuchtel“. Wer schon jahrelang dabei ist, wird zum „Altschwuchtel“ und erhält beispielsweise die Notiz „hat 5 Jahre auf pr0gramm verschwendet“.

Nicht nur die Betreiber der Seite nehmen sich gerne selbst auf die Schippe, auch die Nutzer haben ein Talent für Selbstironie. So gehört es auch zum guten Ton, wenn die Pr0grammer sich selbst durch den Kakao ziehen. Der Spaß steht dabei an erster Stelle. Dass Humor nicht jedermanns Sache ist, wird dabei genauso akzeptiert. Wer nur einfältigen Content hochlädt oder bescheuerte Kommentare von sich gibt, wird reichlich „Minusbenis“ sammeln. Gerät der eigene Benis ins Minus, bekommst du den Status „Fliesentischbesitzer“, schließlich gibt es auch selbst hier Regeln.

Die Themen, die dort diskutiert werden, reichen von Politik über Frauen bis hin zu, wie werde ich meine Depressionen los. Natürlich ist der große Anteil der Nutzer männlich, übergewichtig und Jungfrau – laut eigenen Angaben. Aber selbst das haben die selbsternannten Fettsäcke akzeptiert und freuen sich einfach darüber, dass sie sich unter Gleichgesinnten austauschen und um Hilfe fragen können.

Denn auf der Straße würden sie nie jemanden ansprechen, selbst wenn derjenige sein eigenes Feinkostgewölbe vor sich herschiebt und offensichtlich auf pr0gramm surft. Dafür ist das Imageboard (lat. für Bilderbrett) nämlich schön anonym. Und soll auch doch bitte auch so bleiben!

Krebszellen befallen PRNULLGRAMM

Diese Idylle droht jetzt aber zerstört zu werden von einem Krebs, der ganz gemeinen Art: Brian Krebs. Seines Zeichens US-Journalist. Bei seinen Recherchen zu einem völlig anderem Thema, nämlich Coinhive, ist er auch auf das pr0gramm gestoßen.

Coinhive wurde von dem früheren Admin von pr0gramm ins Leben gerufen und ist eine Software, mit der du als Webseitenbetreiber mit Hilfe deiner Besucher Kryptowährungen schürfen kannst. Letztlich hat aber der aktuelle Admin von pr0gramm „Gamb“ mit Coinhive nichts zu tun und ist dadurch ungewollt in die Schusslinie von Brian Krebs geraten. Gamb hat die gesamte Geschichte auch auf pr0gramm veröffentlicht.

Der alte Admin von pr0gramm und Mann hinter Coinhive ist „cha0s“. Doch so ganz konnte Krebs die Zusammenhänge nicht unterscheiden und hat vorsichtshalber einmal Personendaten von beiden öffentlich gemacht, so dass deren Anonymität schon einmal dahin ist. In der Folge dieses Recherche-Anschlags muss jetzt auch das Imageboard selbst darunter leiden.

Die Betreiber könnten nämlich einfach gezwungen werden, die Seite dicht zu machen. Was bis dato meinungsfrei und anonym den Admin und seine Moderatoren täglich zahlreiche und beinahe karitative Arbeitsstunden kostet, steht damit eventuell vor dem Ende.

Kellerkinder schlagen zurück

Der Zusammenhalt dieser sich untereinander im echten Leben völlig unbekannten Gemeinschaft aus Neu- und Altschwuchteln ist allerdings einzigartig. Somit wäre es nicht pr0gramm, wenn sie auf die Taten von Brian Krebs keine entsprechende Antwort gefunden hätten. Der Feind war schnell ausgemacht und das passende Schlagwort identifiziert: Krebsistscheiße.

Und wie rächst du dich am besten an Krebs? In dem du Profikiller anheuerst, die ihn standesgemäß ausschalten. Gesagt, getan. Pr0grammer namens „xari“ und „BassT87“ spendeten zuerst. Letzterer lud sein Bild hoch mit dem Kommentar: „Ich hab den Rummel um Herrn Krebs mal zum Anlass genommen, meinen Teil gegen Krebs beizutragen. Vielleicht macht der ein oder andere es ja (…) nach…“

Daraus wurde ein nicht enden wollender Spendenmarathon, an dem sich Tausende von Usern auf pr0gramm.com beteiligten. Aktueller Stand laut daspr0spendet.de sind über 300.000 Euro!

Selbst die Stiftung Deutsche Krebshilfe war überrascht und veröffentlichte zu dieser Protest-Spendenaktion ein Statement. Demnach sind bis Ende März über 207.500 Euro allein auf deren Konto eingegangen.

Michael Berkholz

Der Chefredakteur. Wenn er nicht gerade PC/PS4 zockt, surft Michael online, handelt mit Optionen, baut Webseiten oder geht mit seinem Jack Russell auf Erkundungstour.