Geschichten aus dem Alltag im Lebens eines Facebook-Junkies

Ich liebe meine Facebook Freunde. Alle 5.059.871.

Jeden habe ich mir hart erarbeitet und an Land gezogen. Umschmeichelt und geliket und freue mich immer noch diebisch, wenn ich einen weiteren ködern kann.

Doch manchmal, nur manchmal, beschleicht mich das Gefühl, dass ich nicht mehr hundert Prozent bei der Sache, interessiert bin und mir die Begeisterung und Konzentration fehlt, wenn ich zum hundertsten mal fremde Selfies bejubeln muss.

Wir Facebook-Groupies lassen uns durch nichts beirren. Der Wille ist ungebrochen, das Handy immer voll aufgeladen und jederzeit schussbereit.

Ein ganz gewöhnlicher Tag

Die ersten Fotos kommen um 05:45 eingetrudelt. Das Motiv: ein Wecker. Er zeigt auf 05:45.

Ein paar Bilder von einem Duschvorhang, dem neuen Shampoo und zwei neuen Pickeln werden semiprofessionell ausgeleuchtet und detailliert kommentiert.

Dann folgt ungefragt ein Schnappschuss von der Rolle Klopapier. Hiermit wird signalisiert, dass es jetzt aufs Töpfchen geht.

Der dazugehörige Text lautet „…jaaa, das neue Müsli lohnt sich echt ey, die mega vielen Ballaststoffe haben ihre Arbeit getan. Boah, bin nun zwei Kilo leichter…“.

Super wichtig – Super toll – Superstar

Warum zwingen wir Freunden, Feinden und Fremden unser Leben auf?

Intime und persönliche Bilder werden großzügig ins Netz gestellt.

Damit sind noch nicht einmal nackte Hintern und Möpse gemeint. Bilder von Beerdigungen und das eigene verheulte Gesicht, frisch geborene Säuglinge oder Szenen eines Ehekrachs, werden minutiös gepostet. Sogar der Blinddarmdurchbruch wird erst ins Netz gestellt, bevor der Notarzt alarmiert wird.

Da liegt die Vermutung nahe, dass wir uns nur noch freuen, ärgern und feiern/besaufen können, wenn uns alle dabei zusehen.

Wenn mindestens 80 Prozent der „Freunde“ meine Bilder vom Abendessen suuuuper finden. Egal, ob es ein Butterbrot, Miracoli oder eine Sushi Platte ist.

Jeder Schritt der Zubereitung wird zelebriert und online gestellt und die zusammengestückelte Pampe schmeckt erst dann, wenn die ersten „Daumen-hoch“ aufblinken bzw. eintrudeln.

So definieren wir unser Leben. Unsere Highlights, damit der Alltag nicht mehr ganz so normal und trist dahinplätschert.

Der 0815 Homo sapiens hat ein Bankkonto, das so lala ist. Die Familie mit 1,5 Kindern ist o.k. bis annehmbar und die Karriere durchschnittlich.

Einmal im Jahr grummelt der Chef „Nicht schlecht gemacht“, jedes Schaltjahr gibt es die Missionarsstellung.

Das Abi-Treffen besteht zurzeit aus neun Ehemaligen und die Hobbys setzen sich aus Simsen, Kegeln und Netflix zusammen.

Facebook als Rettungsanker

Facebook durchbricht den Trott.

Private Ereignisse (mit)teilen, nach positiven Reaktionen hecheln, macht Spaß und steigert unser Selbstwertgefühl. Warum nicht?

Kontakte pflegen oder Verwandte im dunkelsten Peru aufspüren, werden zu Highlights am deprimierenden Montagmorgen.

Die Normalität hängt uns allen aus dem Hals raus.

Meine Person, mein Leben, meine Leistungen sollen geschätzt werden. Beneidet werden. Selbst, wenn die Bestätigung von „Igor-Hot-32“ kommt und man keinen blassen Schimmer hat, wer das ist.

Mitgefühl und Anteilnahme von unbekannten Menschen geht runter wie Öl. Nach der Entfernung von Hämorrhoiden flutscht die Genesung doch gleich viel besser, wenn hundert Leute „OOOh , Ahhhh, Gute Besserung“ mailen.

Logisch, ab und zu wird die Realität ein wenig beschönigt, zurechtgebogen oder retuschiert. Aber das machen doch alle, einer weniger, einer professionell.

Da wird der Jahresurlaub in der Eifel bei Pension Müller zu einem sechs wöchigen Survivaltraining in Neuseeland gehypet, aufgerüscht und frisiert.

Die neu erstandene (sechs Jahre alte) Familienkutsche wird zu einem PS starken, fabrikneuen, Maserati.

Früher war alles besser…

…oder nicht?

Die sogenannte Komfortzone lautete einst: Privatsphäre schützen.

Bilder, wie man sich in einer Jogginghose, mit ungewaschenen Haaren und einer Pulle Bier auf dem Sofa lümmelt, TABU.

Heute ist es cool oder witzig vertrauliche Details aus dem Leben zu knipsen, online stellen und alles und jeden zu kommentieren bzw. zu dokumentieren.

Ganze Sätze sind am Aussterben, denn Wortfetzen wie „…geil…genau…lach…“ reichen völlig aus.

Mittlerweile fühle ich eine Art von Facebook-Burnout. Die stündlichen Fotos und Infos grenzen an einer Reizüberflutung.

Vielleicht sollte ich mal versuchen 24 Stunden nicht auf Facebook zu gehen. Quatsch, war nur ein Witz.

So, und jetzt gehe ich mir ein gesundes 3-Gänge-Menü kochen. Dann steht Kultur und Bildung auf dem Programm. Dann ein wenig Sport und später treffe ich mich mit ein paar Freunden.

Im Klartext:

Ravioli, Chips und Gummibärchen – DSDS oder Dschungelcamp – ich laufe in den Keller um noch zwei (neun) Flaschen Kölsch zu holen, iss ja auch anstrengend und dann schau ich mal, was meine Facebookfreunde so alles treiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert