Kürzlich kündigte Netflix an, bald 40-50 Spielfilme pro Jahr rausbringen zu wollen. Wer also daran geglaubt hat, dass die Filmindustrie vor der Netflix-Revolution, die die TV-Landschaft bereits aufgewühlt hat, sicher sei, sollte vielleicht ein zweites Mal darüber nachdenken. Das Signal ist klar: Der Streaming-Gigant will totale Welt-Dominanz.
‘War Machine’ ist nicht der erste von Netflix produzierte Film, aber er hat die bisher größten Ambitionen. Die Besetzungsliste, angeführt von Superstar Brad Pitt, beinhaltet außerdem Sir Ben Kingsley und Tilda Swinton. Pitt hat den Film selbst mitproduziert – auch er scheint auf dessen Erfolg zu setzen. Einen Release im Kino wird es nur in sehr wenigen Orten geben.
Die Frage ist also: Stellt ‘War Machine’ den Anfang vom Ende für die Film- und Kinoindustrie, wie wir sie kennen, dar? Einiges spricht dafür, doch traditionsbewusste Filmfreunde sollten dennoch nicht bloß schwarz sehen.
Der Film basiert auf dem Buch “The Operators” von Michael Hasting. Beide setzen sich mit Amerikas Rolle im Afghanistan-Krieg auseinander und lassen dabei wenig Lob für die Verantwortlichen zurück. Brad Pitt spielt General Glen McMahon, eine fiktionale Version von General Stanley McChrystal, dem amerikanischen Offizier, der 2009 damit beauftragt wurde, den Krieg zu gewinnen.
Über den Verlauf der Handlung müssen die US-Truppen allerdings erkennen, dass dies unmöglich ist. Nach über acht Jahren amerikanischer Präsenz in der Region, hat die afghanische Bevölkerung den Glauben an die USA vollkommen verloren. Zwar wird von deren Seite immer noch in hohen Tönen Freiheit und Demokratie versprochen, doch die Realität sieht anders aus. Terroristengruppen breiten sich immer weiter über das Land aus und in ihren Bemühungen, diese unter Kontrolle zu bekommen, bringen amerikanische Soldaten mehr Tod und Zerstörung als Befreiung und Stabilität mit sich.
Im Film wird dieser Konflikt zwischen der idealistischen Message, die General McMahon verbreiten will und der komplizierten Wirklichkeit, der er begegnet, auf satirisch Weise präsentiert. Dabei werden selten tatsächliche Kriegsszenen gezeigt. Der Hauptteil der Handlung zeigt McMahon und seine Männer auf einer Reise durch Europa, wo sie Politiker und Alliierte davon zu überzeugen versuchen, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken.
Die Soldaten fühlen sich offenkundig nicht wohl in dieser Welt. Sie lästern über Diplomaten und Europäer und verbringen mehr Zeit in Bars als im Strategieraum. Es gibt viele Momente, in denen man über die typisch amerikanische Patrioten-Masche von McMahon und seinen Männern schmunzelt. Doch das Lachen bleibt einem im Hals stecken, wenn kurz darauf die fatalen Folgen dieser naiven Herangehensweise aufgezeigt werden.
Auch wenn die Handlung stellenweise etwas schleicht, kommt die Moral des Filmes gut rüber. Kriege von heute können nicht mehr wie früher gekämpft werden. Spätestens seit Vietnam stolpert Amerika von einem militärischen Debakel ins nächste und ein Grund dafür sind die Egos der Entscheidungsträger. Während einer Pressekonferenz im Mittelteil des Films wird McMahon von einer deutschen Journalistin (Tilda Swinton) genau mit dieser Sichtweise konfrontiert. Dies scheint ihn jedoch mehr auf persönlicher Ebene zu kränken, als ihn seine Strategie überdenken zu lassen.
Einige werden von der Qualität des Streifens überrascht sein. Er kann nicht nur mit konkurrierenden Kinofilmen mithalten, sondern sticht heraus als eine der besten Satiren dieses Jahres. Doch ist es wirklich gerechtfertigt, heute noch an der Qualität von Internet-exklusiven Titeln zu zweifeln? Netflix‘ ‘Orange is the New Black’ und ‘Stranger Things’ oder Amazons ‘The Man in the High Castle’ sollten doch schon jedem bewiesen haben, dass ein großer Anteil hochwertiger Inhalte online gefunden werden kann. ‘War Machine’ zeigt, dass dies ab diesem Jahr auch für Spielfilme gilt.
Kritiker werden anmerken, dass Blockbuster ins Kino gehören und nur auf großen Bildschirmen genossen werden können. Ihnen wird die Tatsache, dass Brad Pitt für viele Menschen in diesem Fall über einem 10 Zoll Handy-Display lief, sauer aufstoßen. Sie werden beklagen, dass Netflix Geld und Talent aus Hollywood stiehlt und es in die Form seelenloser, auf Algorythmen basierender Massenware presst.
Diesen Kritikern sollte geraten werden, ein Blick auf das Kinoprogramm der vergangenen Jahre zu werfen. Denn das Monopol auf Blockbuster, das die großen Hollywood-Studios seit dem Beginn der Filmindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts halten, wurde aufs zynischste missbraucht. Von den erfolgreichsten Filmen der letzten zehn Jahre basierten acht auf existierenden Formaten oder waren entweder ein Remake, Sequel oder Prequel zu vorherigen Filmen. Die Anzahl origineller, auf neuen Ideen basierenden Blockbustern ist verschwindend gering.
Die Studios können es sich nicht mehr leisten, Risiken einzugehen. Mit Investitionen, die mittlerweile über 200 Millionen Dollar pro Film hinausgehen, können sie sich keine Flops erlauben. Das Ergebnis ist eine uninspirierte, oft langweilige Masse von vorgekauten, berechenbaren Filmen, die zwar auf der Großleinwand genossen werden können, aber nicht viel bieten, was über Popcorn-Kino hinaus ginge.
Daher sollte es Filmfreunde freuen, dass Netflix bereit ist, Risiken einzugehen. Denn auch wenn das manchmal in Flops resultieren kann, braucht es Mut, um wirklich Großartiges zu produzieren. ‚War Machine‘ ist kein Meisterwerk, aber sollte bei weitem auch nicht als Flop bezeichnet werden. Es ist ein Zeichen an das Film-Establishment, dass Netflix eine wichtige Rolle in der Zukunft des Kino spielen wird. Mit etwas Konkurrenz von Streaming-Plattformen wird Hollywood vielleicht aus seiner schläfrigen Routine gerüttelt werden und anfangen, uns wieder Gründe zu geben, ins Kino zu gehen.